Robin Hädicke
Robin Hädicke ist Interaction­Designer (M.A.) und Kulturwissenschaftler (Dipl.). Er betreibt, zusammen mit anderen ehemaligen Hildesheimer Studenten, machina eX, ein partizipatives Hybrid aus Game und Theater-Performance-Projekt, oder in eigenen Worten: “gaming french kissing performance art“. Allein über dieses aufregende Projekt könnte man ein eigenes längeres Interview führen.

Im Interview verrät uns Robin, wie man den eigenen Beruf und die eigene Karriere erfinden kann, wenn man dies als Gestaltungsprozess versteht. Er spricht darüber, eine Vision (oder: Ideen) für sich selbst zu entwickeln und an die eigene Selbstwirksamkeit zu glauben.

Er ist aktuell zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität in Bayreuth. Er verrät uns ein paar Details, welche Tipps er für seine Studenten parat hat.

Unbedingt reinhören, das Interview ist es wert. Robin hat richtig viel zu sagen, schafft es aber seine Themen prägnant und spannend auf den Punkt zu bringen.

Viel Spaß!

Über professionelles Laientum und darüber, den eigenen Beruf zu erfinden

by Robin Hädicke

Links und Ressourcen

Robin Hädicke: Das Interview in Schriftform

Florian Hallo Robin

Robin Hi

F Schön, dass du da bist. Wir fangen gleich an mit dem Interview. Robin, drei Begriffe, die dich beschreiben.

R Oh, also: Jack-Of-All-Trades, master of none. Das sind mehr als drei Begriffe. Aufgeschlossen, sondierend-suchend, der Welt zugewandt … Vielleicht so.

F Was war das zweite?

R Sondierend-suchend, der Welt zugewandt. So würde ich das benennen wollen. Begeisterungsfähig.

F Begeisterungsfähig, sehr schön. Sehr schöne Begriffe. Aufgeschlossen: Wie äußert sich das?

Aufgeschlossen: Dinge unvoreingenommen betrachten

R Naja, gleichermaßen irgendwie dass ich versuche, immer aufschließend zu agieren, also mir Dinge irgendwie aufzuschließen, eine Blackbox aufzuschrauben, zu kucken was da drin passiert, warum das da drin passiert, wie es gemacht ist. Also Dinge aufzuschließen, selber aber auch aufgeschlossen zu sein. Zu sagen: Ich kenne den Umstand nicht, ich möchte ihn kennenlernen. Ich möchte sehen, was die Situation ausmacht, und ich möchte im Sinne der phänomenologischen Reduktion quasi möglichst wenig voreingenommen an Sachen rangehen.

F Also sehr neugierig und offen, letztendlich.

R Ja, genau, offen, neugierig, aber im Sinne von … ich glaube, dass man sich zu Neugier, in dem Sinn, auch zwingen muss. Weil in Neugier steckt das Wort “neu”, und das heißt, der Situation neu zu begegnen ist mehr als neugierig zu sein, was jetzt die Nachbarin wieder eingekauft hat, oder so.

Es ist eher dieses “neu” was dann wichtig ist. Das “neu” heißt, sich selbst auch immer wieder neu zu machen, erneuern zu können, offen zu machen. Und das ist nicht einfach, weil man im Lauf seines Lebens ja immer wieder Brillen aufsetzt und bestimmte Vorannahmen generiert, weil wir es einfach tun.

F Gegen die Blase, in der man sich befindet, kann man sich nicht so leicht wehren.

R Nein, das ist nicht trivial. Deswegen ist das glaube ich so ein massives Phänomen, und so ein aktuelles gesellschaftliches Problem mit den Filterblasen.

F Richtig. Sondierend und der Welt zugewandt, das war da eigentlich schon mit drin.

Robins “100%-Regel”

R Genau, das steckt da in jedem Fall mit drin. Meint aber auch soviel, dass ich versuche tatsächlich im besten Fall in der Situation zu sein, in der ich gerade bin. Ich habe das mal die 100%-Regel genannt, und das ist auch schwer genug, weil man quasi mittlerweile immer auch im Sinne von Jack-of-all-Trades zwischen so vielen Stühlen tanzt.

Aber wenn ich in diesem Projekt oder in diesem Seminar bin, dann bin ich da. Dann versuche ich mit jeder Faser da zu sein.

F Ja, finde ich gut. Du machst ja unter anderem das unglaublich spannende Projekt machina eX, mit Kollegen zusammen, was ja, wenn ich das jetzt mit meinem Laienverständnis beschreibe, eine Mischung aus Theaterspielen und Game ist. Was hat dich machina eX für dein Berufsleben gelehrt?

machina eX und das Erfinden des eigenen Berufs

R Sehr viel, weil es einen Großteil meines Berufslebens ausgemacht hat, fast 10 Jahre. Ich würde sagen: A, dass man in der Lage sein sollte, auf das eigene Arbeiten immer reflektiert von außen draufzukucken und quasi nicht nur das, was man macht, sondern auch wie man es macht zu thematisieren. Dass man dafür mit einem Team, mit Leuten eine Sprache entwickeln muss und dann auch Ideen entwickeln kann, und sozusagen sich auch weiter entwickeln kann innerhalb der Arbeitsstruktur.

Wir haben das mal das “professionelle Laientum”, im englischen gibt’s dieses Wort “dabbling” genannt. Man muss auch scheitern, auch auf die Nase fallen. Man muss halt kucken, dass man damit Erkenntnisse produktiv macht und sich selbst entsprechend nicht nur ergebnisorientiert, sondern auch prozessorientiert Arbeitsabläufe baut, die einem helfen, neue Dinge zu tun, die man vorher noch nicht getan hat, und Dinge, die man schon getan hat, professionalisierter, sicherer zu tun. In der Hinsicht sich auch auf neue Arbeitssituationen einzulassen und davon auszugehen und die Sicherheit zu haben, dass man auch in dieser neuen Situation mit bereits gelernten Kompetenzen sich zurecht findet.

F Du bist ja an der Uni in Bayreuth und arbeitest mit Studenten ganz viel. Das, was du gerade gesagt hast, wie würdest du das einem Studenten kurz vor dem Abschluss formulieren. Also wenn ein Student fast fertig ist, wie würdest du das was du gerade gesagt hast, einem Studenten sagen?

Den eigenen Weg gehen

R Ich glaube, tatsächlich mit der Verve oder mit der Konsequenz zu sagen: Machen Sie, was Sie sich vorstellen, was Sie quasi jetzt als Vision im Kopf haben, im Sinne von dass die hier bei uns auch künstlerisch-praktisch agieren und arbeiten, und meistens schon ein Projekt im Kopf haben und Dinge im Kopf haben, die sie gerne machen wollen und in dem Sinne zumindest den Versuch zu wagen, etwas zu machen, was man schon immer machen wollte. Das kann ich aus eigener Erfahrung bei machina eX sagen, dass man diesen Versuch wagen sollte und dass man dann halt eben im Kontext der Selbstreflektion zum eigenen Tun, zur eigenen Praxis schauen muss, wie weit man damit kommt und was man vielleicht verändern muss.

Aber grundsätzlich erst mal tatsächlich sich selbst zuzutrauen seinen eigenen Weg gehen zu können, eigenverantwortlich ein Projekt stemmen zu können. Sei es eine Firma, sei es vielleicht auch in einer Firma in entsprechender Verantwortungsposition mit einer Vision anzutreten. Und zumindest den Versuch zu starten, da auch mit vorwärts zu kommen. Nicht von vornherein zu sagen, ich mache das was andere mir sagen.

F Und was sagst du, wenn der Student darauf antwortet: “Ich habe keine Vision, ich weiß nicht, wo ich hin will.”

Das Berufsleben als Gestaltungsprozess

R Ich glaube, dass das recht häufig vorkommen wird. Vielleicht ist Vision auch ein schwieriges Wort an der Stelle, weil es artikuliert, man müsste die große Idee, den großen Wurf haben.

Auf machina eX bezogen hatten wir auch erst mal nur die Idee, dass wir mal kucken wollten, wie das Theater mit Computerspielen zusammenpasst, und dann haben wir halt das gemacht. Dieses Machen, dieses: Ich probiere das mal aus, also auch iterativ, nicht nur im eigenen Gestaltungsprozess, sondern auch im eigenen Leben zu sein.

Letztendlich ist das auch eine Form von Gestaltungsprozess, wenn man sich seinen eigenen Beruf erfindet, seine eigene Arbeit dann in der Hinsicht schafft. Wo es vielleicht auch noch gar keine Stellenausschreibung für gibt, dass ist das eben ein Prozess, und nicht mit einem Fingerschnippen erledigt. Es lebt sehr viel davon, dass man zunächst erst mal ausprobiert, im Sinne von: Tinkering – ich habe jetzt eine Idee, wie könnte das denn aussehen.

Und dann probiere ich das mal so, und dann zeige ich das mal Leuten, das kommt mir auch wahrscheinlich sehr gelegen. Aber in dem Sinne wahrscheinlich auch meinen Studierenden, weil die ja als Game-Designerin auch einen Teil ihres Studiums sich mit Game-Design beschäftigen und das tatsächlich erst mal die Vorgehensweise ist. Man hat nicht ein fertig ausgedachtes Spiel, sondern man hat eine sehr rudimentäre Idee, eine Ahnung davon, was ein Spiel sein könnte. Und dann macht man.

Vision oder Ideen für das eigene Leben?

Und dieses Machen ist immer auch mit einer Frage verbunden, damit verbunden, dass man durch das Machen was herausfinden will. Und das ist in dem Sinne nicht die große Vision, die plötzlich aus mir herausfließt, sondern es ist eigentlich ein Tasten im Dunkeln. Diese Ahnung formt sich eben erst im Prozess aus.

Das ist so ein bisschen das Problem, das ich mit klassischen Lean-Startup-Sachen habe, wo dann quasi eine Idee im Schnellerhitzer einem Schema F entsprochen wird. Das hat auch bestimmte Vorteile, methodisch an Ideenfindung ranzugehen.

Aber ich glaube, das ist auch nochmal der Unterschied zwischen Vision und Ideen. Ideen hat jeder und kann jeder haben, aus Ideen können … wie gesagt, ich habe grundsätzlich Probleme mit dem Begriff Vision … aber da können größere Ideen draus wachsen, neue Ideen draus wachsen, und Ideen produzieren Ideen.

Das ist dann immer ganz gut, wenn man Strategien hat, Ideen zu externalisieren. Ich bin jemand, der einfach von meiner Weltanschauung her davon ausgeht, dass jeder kreativ sein kann, dass jeder Ideen haben kann. Man muss sich eben nur selbst zutrauen, dass es wert ist, diese Idee zu explorieren und herauszufinden, wohin die einen führen. Ich glaube, da muss auch das Studium bzw. ist das Studiendesign für verantwortlich, den Leuten dieses Selbstvertrauen und dieses Bewusstsein über die eigene Selbstwirksamkeit zu vermitteln, so dass sie eben eigenverantwortlich ohne Anweisung oder Lastenheft Ideen haben.

F Ziemlich wichtig, ich finde das ganz ganz wichtig, was du da sagst. Wenn man über Vision nachdenkt und über die Ideen, die man so hat für sein eigenes Leben: Dann drängt sich die Frage ja geradezu auf: Wohin geht’s denn bei dir in der Zukunft?

Robins Ideen für seine berufliche Zukunft

R Mir macht die Lehre gerade sehr sehr viel Spaß. Gleichzeitig würde ich auch nicht aufhören wollen, Game-Designer zu sein, und da praktisch Spiele zu entwickeln. Auch mit machina eX geht es weiter. Da bin ich jetzt gerade eben stärker in so einer beratenden, etwas weniger in die Projekte involvierte Position.

Aber auch das ist eine Phase. In dem Sinne, dass ich auch da sondiere, suche, aufgeschlossen bin, habe ich da eben nicht die klare Vision. Es ist nicht so, dass meine Zukunft schon irgendwie vor mir liegt, sondern das ist was, das sozusagen eine Ansammlung an Möglichkeiten ist, von denen vielleicht alle sogar gleich wahrscheinlich sind, weil das auch da ein Prozess des Stolperns, des Wiederaufstehens.

Jetzt habe ich den großen Vorsatz, auf dieser Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter gute Lehre zu machen, tolle Studierende, studentische Projekte mitzubetreuen. Und eine Promotion zustande zu bringen. Dies ist natürlich an entsprechend etwas, das so eine Unternehmung ist, die auch verglichen wird mit einer Bergbesteigung und so. Man fängt erst mal an und denkt auch daran, dass man irgendwann oben ankommt und fertig ist damit. Aber erst mal ist man noch weit weg, und man muss auch erst mal anfangen zu klettern.

Es gibt keinen geraden Weg

Auch wieder eine eher schwache Metapher, finde ich, die Bergbesteigung. Gerade im Hinblick auf das Schreiben. Was ich aus meiner Master-Arbeit mitgenommen habe, ist das eher eine kreisende Bewegung, die dazu führt, dass die erste Grundannahme, die man dazu hatte, zu dem Thema, mit dem man sich beschäftigt, eigentlich nur ein Ausgangspunkt sind, der dann nicht linear zu einem Ziel, zu einem Ergebnis führt.

Also in dem Sinne, würde ich glaube ich im Hinblick auf eine Zukunftsvision auch sagen, ist es vielleicht auch ok, dass ich das sozusagen noch nicht ausgeplant habe, dass es keinen geraden Weg gibt.

F Ich fasse mal zusammen, was bei mir gerade ankam: Du hast gesagt, du bist eigentlich mit dem, wo du gerade bist, also in der Lehre an der Uni Bayreuth, aber gleichzeitig in Game-Projekten noch involviert zu sein, bist du sehr zufrieden wie es momentan ist. Was ja grundsätzlich schon mal ein guter Status ist. Und bei aller Offenheit schätzt du das auch, wie es gerade ist. Gleichzeitig hast du in beiden Bereichen eine Zielsetzung, wo der nächste Schritt hingehen könnte. Beim einen die Promotion, beim anderen weiter spannende Game-Projekte zu machen.

Und das ist ja eigentlich ein Status, der sehr erstrebenswert ist. Eine Haltung, wo sich wahrscheinlich jeder von uns sich eine Scheibe abschneiden kann.

Was ist die Zielsetzung für das Berufsleben?

R Als Status erstrebenswert ist es in jedem Fall. Es ist aber kein Dauerzustand. Es ist eben so, dass ich von meiner Haltung her tatsächlich relativ früh gesagt habe: ich weiß, dass ich nicht mein Leben lang den gleichen Job machen werde. Ich weiß, ich nicht in einem Unternehmen anfange und bis zur Rente dort arbeite. Weil das nicht mehr die Lebensrealität ist, in der ich mich zumindestens befinde. Es ist eventuell auch nicht mehr die Arbeits- und Lebensrealität in der wir uns alle befinden. Ich wusste, dass ich sozusagen damit konfrontiert bin, dass ich mich ein Stück weit immer wieder neu erfinden muss.

Zumindestens das war auch ein klarer Diskurs der Studierenden in Hildesheim, wenn es darum ging: Wo wollen wir eigentlich, was wollen wir eigentlich machen mit diesem Studium? Es gab die ganz wenigen, die gesagt haben: Ganz klar, ich gehe in die Theaterregie, oder ich gehe in die Filmregie. Es gab aber eine überwiegende Mehrheit: Ja, es gibt den Job eigentlich nicht, den ich machen wollen würde, oder für den ich mich befähigt fühle, ausgebildet fühle. Aber es gibt die Notwendigkeit, dass es Jobs, die genau auf diese Anschlussfähigkeit, auf diese Schlüsselkompetenzen, die mit diesem Studium ausgebildet sind, die es geben sollte, vielleicht.

In der Hinsicht muss ich mir diesen Job erfinden: Einige haben Agenturen gegründet. Andere haben freie Theatergruppen gegründet, die neue Theaterformate gemacht haben, die es in dieser Form vorher nicht gab, und haben sich eigene Arbeitsstrukturen geschaffen. Es ist nicht so, dass es die Mehrheit war, aber es gab einige Kommilitonen, die genau das getan haben, sich ihren eigenen Job erfunden.

F Es ist ja, auch wenn es nicht die Mehrheit war, total wertvoll sich klarzumachen, das es geht. Dass Leute es versuchen, ihre eigene berufliche Wirklichkeit zu schaffen und damit erfolgreich sind. Das ist glaube ich eine ziemlich wichtige Erkenntnis. Robin, wir sind am Ende des Interviews.

Was bedeutet Erfolg?

R Wobei man den Erfolg stark daran festmachen muss, dass man in so einer Form von Arbeit ein hohes Maß an Eigenwirksamkeit hat, und dadurch eine Sicherheit. Das geht nicht immer zwingend einher mit einer finanziellen Sicherheit, oder mit einer in dem Sinne Altersvorsorge etc., Versicherung etc. Also die Sicherheiten, die ganz Standardmäßig aufgerufen werden, von denen muss man sich an bestimmten Stellen verabschieden. Oder man muss damit leben, dass man die nicht hat.

F Genau, das ist ja letztendlich wie vorhin, da war das Thema Vision. Letztendlich hängt das ja alles mit dem individuellen Wertekonstrukt zusammen, was einem wichtig ist. Wie viel Sicherheit möchte man? Wie viel Planbarkeit? Wie viel individuelle Verwirklichung ist einem wichtig?

R Und ich glaube, das changiert auch nach Lebensarten. Deswegen würde ich jetzt nicht sagen, es gibt diesen einen Entwurf, sondern man muss auch da flexibel sein und kucken, in welcher Lebensphase befinde ich mich gerade, was brauche ich gerade. Wo will ich eigentlich hin? Dieses sich ständige Befragen … irgendjemand hat mal formuliert: Nach 10 Jahren muss man eigentlich immer die Stelle wechseln, oder einen neuen Job machen, was Neues machen. Man muss zumindest kontinuierlich fragen, ob das, was man gerade tut, wohin einen das gerade noch bringt, und ob man sich da drin wiederfindet.

Robin, wir sind am Ende. Wenn du magst, kannst du noch einen abschließenden Satz formulieren, bevor wir uns dann verabschieden.

R Da ich mit dem abschließend einen Satz nicht so ganz gut bin, würde ich es bei all dem belassen, was gesagt wurde. Vielen Dank, für das Interview, das hat Spaß gemacht.

F Ich danke auch, Robin. Alles Gute für die Zukunft, und ja, danke für das Interview.

R Dito.

F Mach’s gut. Tschüss!

R Tschüss!